Hans Multscher
Leutkirch 1400 - 1467 Ulm, Kreis
Madonna
2. Hälfte des 15. Jahrhunderts
Holz geschnitzt und polychromiert (ausgehöhlt)
Höhe mit Sockel 113 cm, Höhe der Figur 104 cm
Breite des Sockels 38 cm, Tiefe des Sockels 25.5 cm
Breite der Figur 29 cm, Tiefe der Figur 21,5 cm
Der Bildhauer und Maler Hans Multscher gilt als einer der größten Meister seiner Zeit und unterhielt bis 1467 eine renommierte Werkstatt. Als ein früher Vertreter der berühmten Ulmer Schule stellt er Figuren in dynamischen Bewegungen dar: Maria ist in einer schwungvollen S-Haltung positioniert; in ihrer linken Hand balanciert sie das nackte Jesuskind, dessen spielerisch gebeugter Körper mit ausgestreckten Zehen einen naturalistischen Eindruck vermittelt. Der Knabe präsentiert dem Betrachter einen Reichsapfel, entweder einen Apfel als Symbol der Fruchtbarkeit oder einen Globus Cruciger, der Christus als Herrscher der Welt ausweist. Im Gegensatz zu Marias Schönheitsideal mit langem, gelocktem Haar, hoher, elegant gewölbter Stirn, schmaler Nase und kleinem Mund hat das Kind einen fast frechen Ausdruck: tiefliegende Augen mit schmalen Augenbrauenkämmen sind mit einer Stupsnase und einem kleinen, verschmitzt lächelnden Mund mit stark eingekerbten Ecken kombiniert. Das Gesicht Jesu wird von den für die Gotik typischen kurzen Locken umrahmt.
Das eindrucksvollste spätgotische Merkmal dieser Madonnenfigur ist jedoch der Faltenwurf des Gewandes Marias, der nach unten hin zunehmend scharfkantiger wird. Der Schleier um Marias Kopf fällt voluminös herab, wobei der Fluss von den langen Haarsträhnen aufgenommen wird, die über ihre Brust fallen. Der reich gefaltete Mantel zeigt Kombinationen aus weich wirkenden Schüsselfalten und Knitterfalten, wobei der Stoff am Oberkörper noch geschmeidiger erscheint und der Faltenwurf darunter kantig und gebrochen strukturiert ist. Besonders auffallend sind die tiefen Falten des roten Kleides Marias, das an ihren Füßen sichtbar ist und sich am Boden wölbt. Ein Vergleichsbeispiel ist die Bihlafinger Madonna aus der Zeit um 1455-60, die heute im Ulmer Museum zu sehen ist und ähnliche Merkmale wie die hier vorgestellte Figur aufweist. Allerdings ist hier ein größeres Maß an Verspieltheit durch die freche Haltung des Jesuskindes sowie eine intimere Beziehung zwischen Mutter und Kind festzustellen, da Maria mit ihrer rechten Hand auch den Fuß ihres Sohnes sanft berührt. Der Schnitzer hat hier eine fast hyperrealistische Unmittelbarkeit erreicht, die eine körperliche und geistige Nähe des Betrachters zu den dargestellten Figuren suggeriert und die menschliche Seite Christi und die Rolle Marias als Fürsprecherin betont.