Kohle und Pastell, beigefarbenes Papier, 57,4 x 48,7 cm (im Licht des Rahmens)
Signiert und datiert l.g.: T.B.+E/ Ignacy/ Witkiewicz/ 1919
PROVENIENZ:
Privatsammlung, Warschau
Dem Gemälde liegt ein Gutachten der Witkacologin Dr. Anna Żakiewicz (Kuratorin und Autorin zahlreicher Ausstellungen und Publikationen über Witkacy, Kuratorin der Witkacy-Sammlung im Nationalmuseum in Warschau) aus dem Jahr 2024 bei.
"Nach seiner Rückkehr aus Russland, wo er die Jahre des Ersten Weltkriegs verbracht hatte, setzte Witkacy seine dort begonnene Tätigkeit fort, Porträts in Kohle und Pastell zu malen. Im Allgemeinen erhielt der Künstler dafür ein Honorar, aber manchmal vergütete er die Porträts für die unterschiedlichsten Gefälligkeiten - Darlehen, Gastfreundschaft, medizinische Versorgung. In den Jahren 1919-1920 porträtierte er mehrere Mitglieder der Familie Niklas, wahrscheinlich als Gegenleistung für die Gastfreundschaft in Krakau, in der Radziwiłłowska-Straße 17, wie aus einem Brief des Künstlers an Emil Breiter vom 4. November 1919 hervorgeht. (siehe S.I. Witkiewicz, Listy I, herausgegeben von T. Pawlak, Warschau 2013, S. 554), in dem er darum bittet, im Namen der Plucińskis Briefe an eben diese Adresse zu schicken. Maria, eine der Töchter von Matylda und Stanisław Niklas, heiratete Kazimierz Pluciński, der bei der Familie seiner Frau lebte. Höchstwahrscheinlich wohnte Witkacy auch während seines Studiums an der Akademie der Bildenden Künste in Krakau an dieser Adresse, was wir aus der Erwähnung in seinem Brief an Bronisław Malinowski wissen (siehe S.I. Witkiewicz, Listy do Bronisława Malinowskiego, ed. E.C. Martinek, Warschau 1981, S. 39). Kazimierz Pluciński (gest. 1940 in Dachau), war Altphilologe, Lehrer für Latein und Griechisch am Jan-Sobieski-Gymnasium in Krakau in den Jahren 1912-1926; außerdem war er mit Künstlern aus dem Kreis der Zielony Balonik (Grüner Ballon) befreundet, daher seine Bekanntschaft mit Witkacy, der ebenfalls zu dieser Gruppe gehörte.
Das Porträt von Maria Plucińska, geborene Niklas (1895-1941), entstand 1919. Witkacy hat die Büste der Frau, insbesondere ihr Gesicht, entsprechend den Anforderungen und der Tradition des Genres realistisch dargestellt, während der Hintergrund - die Lehne eines Sessels und die Wand mit einem darauf hängenden Bild und einem Fragment eines Vorhangs - schematisch gezeichnet ist. Die Farbgebung des Porträts ist sparsam - es wurde hauptsächlich in Kohle gezeichnet, mit sparsamen Weißakzenten im Hintergrund und einem zarten Rosa auf den Lippen.
Was auffällt, ist die etwas anachronistische Frisur der Frau - sie ähnelt stark der Frisur von Witkacys Verlobter Jadwiga Janczewska, die von zahlreichen Fotos bekannt ist und im Februar 1914 Selbstmord beging. Die Ähnlichkeit mit der verstorbenen geliebten Frau in Verbindung mit der zarten Schönheit des Modells und der in ihrem Gesicht sichtbaren Traurigkeit faszinierte wahrscheinlich den Künstler, der das Porträt mit dem Vermerk "T.B + E" versah, was darauf hindeutet, dass es ursprünglich als traditionelles, objektives Bild (T.B) gedacht war, Witkacy aber während der Ausführung beschloss, die psychologische Interpretation zu vertiefen, denn nach den 1925 formulierten Regeln und Vorschriften der Ein-Mann-Porträt-Gesellschaft "S.1.Witkiewicz" ging der Typus E von einer solchen Annahme aus. In der Praxis - in dieser Konvention - porträtierte der Künstler Frauen, die ihn in irgendeiner Weise interessierten, oder die ihm einfach gefielen." (Die zitierten Auszüge stammen aus dem Gutachten von Dr. Anna Żakiewicz)